Johann Wolfgang von Goethe

Teil 1: Meine kleine Gedichte-Sammlung

Rastlose Liebe

1. Dem Schnee, dem Regen,
Dem Wind entgegegn,
Im Dampf der Klüfte,
Durch Nebeldüfte,
Immer zu! Immer zu!
Ohne Rast und Ruh!

2. Lieber durch Leiden
Möcht´ ich mich schlagen,
Als viel Freuden
Des Lebens ertragen.

3. Alle Neigen
Von Herzen zu Herzen,
Ach wie so eigen
Schaffet das Schmerzen!

4. Wie soll ich fliehen?
Wälderwärts ziehen?
Alles vergebens!
Krone des Lebens,
Glück ohne Ruh,
Liebe, bist du!

1776

Ein gleiches

1. Über allen Gipfeln
Ist Ruh',
In allen Wipfeln
Spürest du

2. Kaum einen Hauch;
Die Vöglein schweigen im Walde.
Warte nur, balde
Ruhest du auch.

1780

Gesang der Geister über den Wassern

Auszug

1. Strophe
Des Menschen Seele
Gleicht dem Wasser.
Vom Himmel kommt es,
zum Himmel steigt es,
Und wieder nieder
Zur Erde muß es.
Ewig wechselnd.

1779

Das Göttliche

Auszug

1. Strophe
Edel sei der Mensch,
Hilfreich und gut!
Denn das allein
Unterscheidet ihn
Von allen Wesen,
Die wir kennen.

1780

Nähe des Geliebten

1. Ich denke dein,
wenn mir der Sonne Schimmer
Vom Meere strahlt;
Ich denke dein,
wenn sich des Mondes Flimmer
in Quellen malt.

2. Ich sehe dich,
wenn auf dem schmalen Stege
Der Wandrer bebt.

3. Ich höre dich,
wenn dort mit dumpfem Rauschen
Die Welle steigt;
Im stillen Haine
geh`ich oft zu lauschen,
Wenn alles schweigt.

4. Ich bin bei dir
du seist auch noch so ferne,
Du bist mir nah!

5. Die Sonne sinkt,
bald leuchten mir die Sterne.
O wärst du da!

um 1795

Frühzeitiger Frühling

Auszug

1. Tage der Wonne,
Kommt ihr so bald?
Schenkt mir die Sonne,
Hügel und Wald?

2. Reichlicher fließen
Bächlein zumal.
Sind es die Wiesen?
Ist es das Tal?

3. Bläuliche Frische!
Himmel und Höh!
Goldene Fische
Wimmeln im See.

4. Buntes Gefieder
Rauschet im Hain,
Himmlische Lieder
Schallen herein.

um 1800

An den Mond

Auszug

1. Füllest wieder Busch und Tal
Still mit Nebelglanz,
Lösest endlich auch einmal
Meine Seele ganz;

2. Breitest über mein Gefild
Lindernd deinen Blick,
Wie des Freundes Auge mild
Über mein Geschick.

3. Jeden Nachklang fühlt mein Herz
Froh- und trüber Zeit,
Wandle zwischen Freud`und Schmerz
In der Einsamkeit.

4. Fließe, fließe, lieber Fluß!
Nimmer werd`ich froh;
So verrausche Scherz und Kuß,
Und die Treue so.

um 1800

Gefunden

1. Ich ging im Walde
So für mich hin,
Und nichts zu suchen,
Das war mein Sinn.

2. Im Schatten sah ich
Ein Blümchen stehn,
Wie die Sterne leuchtend,
Wie Äuglein schön.

3. Ich wollt´es brechen,
Da sagt es fein:
Soll ich zum Welken
Gebrochen sein?

4. Ich grub´s mit allen
Den Würzlein aus,
Zum Garten trug ich´s
Am hübschen Haus.

5. Und pflanzt´ es wieder
Am stillen Ort,
Nun zweigt es immer
Und blüht so fort.

1813

Auszüge aus

Faust

Alles Vergängliche
Ist nur ein Gleichnis;
Das Unzulängliche,
Hier wird´s Ereignis;

Das Unbeschreibliche,
Hier ist´s getan;
Das Ewig-Weibliche
Zieht uns an.

- Man könnt´erzogene Kinder gebären,
Wenn die Eltern erzogen wären.

- Alles in der Welt läßt sich ertragen,
Nur nicht eine Reihe von schönen Tagen.

-Willst du ins Unendliche schreiten,
Geh nur im Endlichen nach allen Seiten.

Willst du dich am Ganzen erquicken,
So mußt du das Ganze im Kleinen erblicken.

um 1829

Aus "Faust"



Monika Hubl-Moussa
Johann Wolfgang von Goethe:   Teil 2: Aphorismen   Teil 3: Westöstlicher Divan

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